APHORISMEN •
Über Sehnsucht •
In der Unerreichbarkeit bestimmter Utopien unserer Vorstellungen liegt Schmerz. Schmerz über die Unvollkommenheit des eigenen Lebens. Doch dieser Schmerz quält unser Dasein ebenso wie er es bewegt. Sich nach etwas oder jemanden zu sehnen, ist immer auch intentionales auf etwas gerichtet, ein Weg der Orientierung wie auch Hoffnung gibt. Sehnsüchte geben unserem Leben eine Richtung, sie motivieren uns aufzustehen und nach einem ‚erfüllterem‘ Leben zu streben. In dem uns das Sehnen in eine temporäre Utopie versetzt, in der alle Ideale wahrhaftig geworden sind, funktioniert sie oft als die treibende Kraft unserer Handlungen. Sehnsüchte können also motivational sein.
Doch ebenso wie das Sehnen uns anspornen und motivieren kann, genau so kann es uns lähmen.
In der Sehn-sucht trachten wir nach einem Ideal in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Sucht entsteht dabei aus dem Nicht-Anerkennen des ‚Realitätsprinzips‘. Weigern wir uns Realität als Ganzheit anzuerkennen und darin auch Schmerz, Verlust, Unvollständigkeit, Vergänglichkeit und Dunkelheit hinzunehmen, so laufen wir Gefahr vom zwanghaften Sehnen verschluckt zu werden. Dauerhaft getrieben von einer idealen Idee, einem idealen Gefühl.
Das reale Leben ist zuweilen anstrengend, unangenehmen oder gar niederschmetternd. Wer Sehnen nur kompensativ dazu benutzt dieser Wahrheit zu entfliehen wird unweigerlich die Schönheit und Magie des vermeintlich ‚unvollkommenen‘ Lebens verpassen.
Dabei sind die unbewussten oder abstrakten Sehnsüchte besonders zu erwähnen.
Wir alle tragen Phantasien wie etwa dauerhafte Erlösung von Leid, gebärmütterlichem Einssein oder allumfassenden Gehalten und Gewärmt-Sein in uns, darin liegt eben auch jene erwähnte Kraft.
Meist zeigen die konkreten Sehnsüchte unsere abstrakten Sehnsüchte an; die Symbolhaftigkeit unseres konkreten Sehnens in Traum, Gedanken/Gefühl und Handlung, bietet das Material, das wir brauchen unsere abstrakten Sehnsüchte zu erkennen, zu verstehen und sie dann, jedenfalls in bestimmten Momenten, los zu lassen. Platz zu schaffen, für eben jene lebendige Erfahrung, die wir gemeinhin als Glück bezeichnen. Das Leben im Moment der Gegenwärtigkeit•